Als Halloween Geist durch die Anderswelt

Ich hab eine längere Zugreise durch das Land hinter mir als ich am Bahnhof zu Rande einer Stadt in den Bus umsteige. Draußen fällt mir eine attraktive blonde junge Frau auf die mit einem faltigen Mann im mittleren Alter reist. Sie hat eine wunderschöne, glänzende, glatte Haut die neben ihm sehr auffällig ist. “Make up” – denke ich laut als ich mich bei einem regelmäßigem Fehler erwische: Jugend und wie aufwändig sich jemand schminkt, mit Schönheit zu verwechseln. Und es erinnert mich an die ungleiche Normalisierung der Gesellschaft, an einen ZDF Reporter der es wagte mit Lippenstift auf Sendung zu gehen und dafür Spott erntete.
Ich steige in den Bus. Auf dem Weg in die Stadt überqueren wir eine Autobahn. Es ist das erste Anzeichen einer großen Stadt. Abgesehen davon sehe ich um den Bus erst einmal nur das schöne natürliche Land. Herbstliche Wiesen soweit das Auge reicht. Jenseits der Autobahn werden die Häuser immer dichter und größer. Ich begebe mich zu den Stehplätzen im hinteren Busbereich um eine bessere Sicht auf sie zu haben. Die vierspurige Hauptstraße erinnert mich an die Stadt in derer nähe ich lebe. Ich fühle mich an einem vertrautem Ort. Der Bus hält an, ich stehe direkt neben der aufgehenden Tür. Eine schwarzhaarige Frau mit dunklen Augen steigt aus und läuft an mir vorbei. Ihre schwarzen Haare wirken fluffig und sind lang. Sie schaut lächelnd nach hinten zu mir und bleibt stehen. Wir schauen uns tief in die Augen. Ich spüre die Anziehung zwischen uns und gehe einen Schritt auf sie zu. Nutze die Gelegenheit, denn die Dinge sind hier so viel einfacher in der Anderswelt: Unsere Gesichter nähern sich einander, die Lippen berühren… Doch etwas stört unseren Kuss. Makeup läuft dickflüssig mein Gesicht herunter. Es läuft selbst über meine Lippen. Dabei trage ich keins! Ich kann die angenehme Berührung ihrer Lippen nicht wirklich geniessen. Ich hebe meine Hand hoch und wische das Makeup aus meinem Gesicht. Eine Handvoll matschiger Masse die ich aus der Tür auf ein Gebäude gegenüber werfe. Es hinterlässt einen grauen, matschigen Fleck. Nah an dem Dach auf dem ein Arbeiter diese zähe Masse verteilt. Kommt es von ihm? Und was soll er symbolisieren? Zwei Fahrgäste kommen an meine Seite.
“Nanu, wer schaut denn da auf uns herab?” – sagt einer von ihnen. Sein Ton läßt klar verstehen was eigentlich gemeint ist: Wir sind nur die dummen Konsumenten für die da oben die sich eine goldene Nase mit den ungleichen und unerreichbaren Schönheitsidealen bei Frauen verdienen. Und langsam zunehmend auch bei Männern.
Die Tür schließt und der Bus versetzt sich erneut in Bewegung. Ich schaue nach vorne in den Bus. Beobachte alles genau. Bewundere die Klarheit hier. Die ganze Zeit seit beginn der Zugreise und sogar schon davor. Beeindruckend! Erst jetzt fällt mir das alles auf.
“Ich bin schon so lange hier.” – fällt mir gedanklich ein. Zu laut, ich verstumme sie wieder. Meine Engel dürfen nicht merken, dass mir bewusst wurde wo ich bin. Diese Erfahrungen stoppen daraufhin kurze Zeit später.
“Oder sind es vielleicht sie, die mich daran erinnern?” – wieder Gedanken die ich schnell verstumme. Unsicher ob es wirklich meine sind.
Ich versuche weiterhin ganz normal zu schauen, aber es klappt nicht. Der Bus fängt an sich in seiner Mitte im Kreis zu drehen, immer schneller. Ich lache amüsiert. Es war ja klar das irgendwas passiert. Ich schaue eine junge, blonde Frau vor mir an. Unsicher ob sie eines meiner Engel ist oder eine seelenlose Traumfigur. Schließlich hebe ich meine Hand hoch und verabschiede mich winkend und lächelnd von ihr. “Bis später.” Sicher ist sicher.
Ich wache auf in meinem physischen Körper. Das Bett und die Decke klar spürbar während ich meine Augen geschlossen halte. Ich erinnere mich nach und nach an den Reiseverlauf. Die Busreise, die Zugreise und davor nochmal ein großes Industriegebiet auf dem ich fast überfahren wurde und mir gegenüber aggressiven Personen begegnete. Es war ein langer Tag.
Ich öffne die Augen schließlich um mir alles zu notieren und befinde mich erneut im Bus! Dieses Mal ist er Leer und draußen ist es dunkel. Die Stadtlichter sind die einzige erwähnenswerte Lichtquelle.
Der Bus fährt in eine Sackgasse! Hält vor einer Hausmauer und beginnt zu schaukeln. Vor und zurück. Durch die Mauer die nun auf mich zukommt! Ich erschrecke kurz. Meine Instinkte lassen mich wissen, dass ich mich gleich verletzte – ich werde gegen die Wand geschleudert. Ich rufe mir ins Bewusstsein, dass dies die Anderswelt ist und solange ich zweifelsfrei daran glaube, ich mich ebenfalls durch die Mauer bewegen werde. Die Mauer bleibt direkt vor mir stehen. Ich strecke dennoch meinen Arm aus und bewege die Hand durch die Mauer hindurch. Schiebe die rationalen Zweifel zur Seite. Es klappt!
Der Bus schaukelt zurück und verwandelt sich in einen fliegenden Teppich. Er hebt ab mehrere Stockwerke in die Luft und steuert nach rechts auf ein Gebäude zu. Ich zwinge mich die Augen offen zu lassen. Ich möchte sehen wie es ist durch eine Mauer zu fliegen. Kurz davor bemerke ich kleine, leuchtende Totenschädel in der Mauer. Wie winzige Geister.
“Die Mauer der Toten.” – sage ich zu meinen Engeln. Ich spüre Raphael hinter mir. Es ist eine Anspielung auf eine Fantasie-Geschichte in der die Seelen der Verstorbenen ohne Glauben an Götter, für alle Ewigkeit in einer Mauer verweilen müssen.
Ich fliege hinein in die Mauer, mit offenen Augen. Ich sehe nichts besonderes. Es ist dunkel in einer Mauer. Wer hätte das gedacht? Ein Auge verläßt die Mauer nach dem durchfliegen als erstes. Reihen von Bücherschränken stehen in einem hell erleuchteten Raum. Ein Vater und ein junges süßes Kind schauen neugierig hinüber zum fliegenden Teppich. Sie konnten zuerst nur den vorderen Teil davon sehen. Nun erscheint mein Körper nach und nach.
“Oh, es ist eine Frau.” – sagt das menschliche Wesen. Sie atmen erleichtert auf. Der Teppich fliegt mich weiter hinein in die Bücherei. Es ist ziemlich leer zu dieser späten Stunde. Nur eine weitere junge Frau begegnet mir.

Am frühen Morgen, bevor ich endgültig für den Tag in unserer Welt aufwache, befinde ich mich in einer Schule. Ich tausche mich mit Freunden aus über unsere Erfahrung auf der Erde. Unsere Lehrerin kommt herein und unterbricht uns. Es ist mein Engel Haniel.
“Jetzt müsst ihr alle zurück in euer Klassenzimmer.” – sagt sie und ich wache auf. Ein weiterer Tag auf Planeten Erde.

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